„Es gibt keinen Gott“

Stell dir einmal eine Mäusefamilie vor, deren Familienmitglieder alle in einer
Orgel lebten, solange sie zurückdenken konnten. Ihre Orgelwelt war häufig erfüllt mit der wunderbaren Musik dieses Instruments – es war ein herrlicher Klang. Zuerst waren die Mäuse davon ausgesprochen beeindruckt. Sie genossen die Musik und machten sich Gedanken, von wem sie wohl stammte. Ja, sie dachten gerne an den unsichtbaren Orgelspieler, den sie nicht sehen konnten, aber der ihnen doch so nahe sein musste.
Dann eines Tages machte sich eine besonders wagemutige Maus auf und erklomm die höher gelegenen Teile der Orgel. Als sie von ihrem Ausflug zurückkehrte, war sie ganz in Gedanken versunken. Sie hatte herausgefunden, wie die Musik gemacht wird. Sie hatte das Jahrhunderte alte Geheimnis entdeckt: Luft! Luft strich durch verschieden lange Röhren aus Holz und Metall und liess so die Töne entstehen. So mussten die Mäuse ihren alten Glauben aufgeben: Keine der wirklich ernstzunehmenden Mäuse konnte jetzt noch an den unsichtbaren Orgelspieler glauben.
Später sorgte eine andere Forschermaus für weitere Erklärungen. Jetzt waren Holzklötzchen das Geheimnis. Die Holzklötzchen tanzten auf und ab, und diese Bewegungen übertrugen sich mechanisch auf die Öffnungen der Röhren, wodurch die Luft hindurchströmen konnte oder eben nicht. Diese neue Theorie war natürlich ein ganzes Stück komplizierter, aber sie zeigte besonders deutlich auf, in was für einer mechanischen und wissenschaftlichen Welt die Mäuse lebten.
Der unsichtbare Orgelspieler wurde natürlich endgültig in die Welt der Märchen und Sagen verbannt.
Aber der Orgelspieler machte weiter seine wunderschöne Musik.

Frei übertragen aus: „und freue mich auf jeden neuen Tag“ von Rainer Haak