Evangelische Prättigauer Gedächtnisstiftung
Entstehung und Geschichte
Die Idee
Am 20. September 1921 tagte die Versammlung der Pfarrer aus dem Prättigau und der Bündner Herrschaft, das sogenannte Kolloquium, in Schiers. Dabei kam zur Sprache, dass in einem guten halben Jahr für das Prättigau ein wichtiger Gedenktag sein wird: Am Palmsonntag 1622 begann nämlich der Prättigauer Aufstand gegen Österreich. Ausser der Bedrückung durch die Soldaten erbitterte die Leute, dass ihnen die Ausübung ihres reformierten Glaubens verboten wurde und nur noch die römisch-katholische Messe zugelassen war.
Das Gedenken an den Aufstand sollte würdig gefeiert werden, war die Meinung der Pfarrer, und es sollte die Leute in der evangelischen Gesinnung stärken. Dafür mussten die Gemeinden des Prättigau gewonnen werden.
Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt. Diese schlug vor, dass in allen Gemeinden gefeiert werden und zum Schluss noch eine grosses, würdiges Fest steigen soll für das ganze Tal und alle, die als Gäste kommen wollen. Dafür sollte eine Festschrift verfasst und am Fest selber eine Gedenkstiftung geschaffen werden.
Das Vorhaben gelang: Nicht nur eine Festschrift entstand in kürzester Zeit, sondern auch ein Theater wurde geschrieben, das am 14. Mai 1922, am Talfest in Schiers, mit grossem Erfolg aufgeführt wurde. Auch finanziell war die Gedenkfeier ein Erfolg. Von den gut 14’000 Franken Einnahmen aus Eintritten, Festwirtschaft und Schenkungen blieben nach der Abrechnung für die zu gründende Stiftung die Hälfte, gut 7000 Franken. (Das war um einiges mehr als ein Jahreseinkommen eines Arbeiters.)
Die Gründung – und stille Jahre
Die Gründung der Stiftung erfolgte am 18. März 1923. „Evangelische Prättigauer Gedächtnisstiftung“ wurde sie genannt im Gedenken an die tapferen Prättigauer. Ihr wurde in der Stiftungsurkunde der Zweck gegeben, „mitzuhelfen zur Erhaltung und Befestigung des evangelischen Glaubens und Lebens im Prättigau.“ Und das Protokoll der Gründungsversammlung schliesst mit den Worten: „So ist nun die Evangelische Prättigauer Gedächtnisstiftung als ein bleibender Dank und zur Dreihundertjahrfeier des Prättigauer Freiheitskampfes begründet. Möge sie unter Gottes Schutz, getragen vom Christentum des Prättigauer Volkes, gedeihen zu Nutz und Frommen späterer Geschlechter und zur Ehre Gottes des Allmächtigen.“
Die Stiftung war eine kirchliche Stiftung. Die Mitglieder des Stiftungsrates wurden von den Kirchgemeinden delegiert. Das Vermögen wollte man auf 100’000 Franken ansteigen lassen – eine stolze Summe damals! – und dann, was darüber war, dem Stiftungszweck entsprechend einsetzen.
Zuerst am Auffahrtstag, danach am Sylvester erhoben die Kirchgemeinden eine Kollekte für die Stiftung. Eine Tradition, die bis heute fortdauert. Das Vermögen wuchs langsam. Der Stiftungsrat traf sich anfangs alle sechs Jahre – man hatte ja kaum etwas zu beschliessen.
Ein Altersheim bauen?
1941 kam Bewegung in die Stiftung. Das Stiftungsvermögen von 26’000 Franken war noch weit von seinem Ziel entfernt. Aber man überlegte sich, ob die Mittel der Stiftung schon vorher für die Schaffung eines Altersheims eingesetzt werden sollten. Diese Idee wurde verfolgt. Der Vorstand nahm Kontakt auf zum Krankenhausverein, aus dem später die Flury Stiftung erwuchs.
1948 wurden die Statuten so geändert, dass das Vermögen der Stiftung für den Bau und Betrieb eines Altersheims zu gebrauchen sei. Beiträge und Vermächtnisse an die Stiftung mehrten sich. Das Vermögen wuchs im Hinblick auf ein Altersheim auf dem Höhepunkt auf über 2 Mio. Franken. So einfach aber erwiesen sich Abklärung der Bedürfnisse, des Standortes, der Planung,… – und dies stets in Zusammenarbeit mit dem Spital und der Flury Stiftung, – nicht. Viele Fragen mussten geklärt werden, und die Bevölkerung wurde langsam ungeduldig.
Was lange währt, wird endlich gut
1974 gab die Gedächtnisstiftung der Flury Stiftung den Auftrag, im Neubau des Spitals eine Pflegeabteilung einzurichten, – dazu trug sie schliesslich mit 700’000.- bei, – und ein Altersheim zu bauen, für das sie ihr Vermögen einsetzen wollte. Ein Betriebsdefizit des Altersheims sollte durch die Kirchgemeinden gedeckt werden.
In den 80 iger Jahren wurden die Altersheime Klosters und Schiers gebaut, an deren Bau die Gedächtnisstiftung mit namhaften Summen beitrug. Eine Zeit lang finanzierte sie auch die Pfarrstelle für das Spital Schiers. Heute werden Spital- und Heimpfarramt von der Flury Stiftung getragen.
Da nun die Altersheime gebaut waren und die Deckung des Betriebsdefizits an die politischen Gemeinden übergegangen war, – die Kirchgemeinden hätten das keinesfalls mehr leisten können, – dachte man 1991 an die Auflösung der Stiftung. Doch das liess das Rechtsgutachten der Kantonalkirche nicht zu. Denn das Stiftungsziel, das evangelische Leben im Tal zu fördern, wird nie erreicht. Die Flury Stiftung ihrerseits verlangte das Stiftungsvermögen bis auf einen kleinen Rest für sich, wurde doch der Bau eines weiteren Altersheims ins Auge gefasst. Schon meinte man, rechtliche Schritten ergreifen zu müssen, als man zu einer Einigung fand.
1997 wurde mit der Flury Stiftung vereinbart, dass die Gedächtnisstiftung ihr Restvermögen bis auf 100’000.- ihr übergibt, falls sie nicht innerhalb von vier Jahren eine neue Aufgabe übernimmt.
Eine neue Aufgabe: Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit
Der Blick der Stiftung wandte sich der Jugend zu. 1999 wurde beschlossen, kirchliche Kinderlager zu veranstalten und im Jahr 2000 fand das erste Prätticamp statt.
Die Verflechtung mit der Flury Stiftung wurde aufgelöst. An das Alters- und Pflegeheim Jenaz hatte die Gedächtnisstiftung noch 300’000.- zu entrichten.
Jahr für Jahr fanden im Herbst die Kinderlager statt. Dazu kamen auf Wunsch von ehemaligen Lagerteilnehmern Wochenende oder kürzere Lager für Jugendliche, in denen sie Abenteuer erlebten und Fähigkeiten erwarben, als Hilfsleiter im Kinderlager dabei zu sein.
Weil diese Arbeit nicht mehr nur auf freiwilliger Basis betrieben werden konnte, wurde eine Stelle für den Betrieb dieser Kinder- und Jugendarbeit geschaffen.
Bis 2019 fand alle Jahre das Prätticamp im Herbst statt. Ein Ende fanden die Lager mit dem Auftreten der Corona Pandemie.
2019 kam die Stiftung unter das Dach des Kolloquiums bzw. der Kirchenregion Prättigau, deren Versammlung nun Stiftungsrat wurde. Gemäss dem Stiftungszweck soll sie mit ihren Mitteln weiter der Förderung evangelischen Glaubens und Lebens im Prättigau dienen.